Interview mit Autorin Christa Schyboll über kleine Alltagshelden
Vergangenes Jahr habe ich euch das tiefgründige, vielschichtige und spannende Buch „Mea Maxima Culpa“ von der Deutschen Autorin Christa Schyboll vorgestellt und Christa auch gleich dazu interviewt. (Interview auf www.laurabuend.rocks / Literatur)
Christa Schyboll schreibt auch für Kinder. Ebenfalls bei der Kinderbuchserie „Vom Stinkemichel und seinen Freunden“ setzt Christa Schyboll nicht auf heile Fantasiewelt, sondern rückt die Realität des Kinderalltags in den Vordergrund. Deshalb können diese Bücher auch für therapeutische Zwecke verwendet werden und sind bestens für den Schulunterricht geeignet.
Mehr dazu erfahrt ihr in diesem Interview:
1. Laura Bünd: Liebe Christa, kürzlich ist dein neues Buch „Moralgeschichten für kleine Alltagshelden“ aus deiner Kinderbuchserie „Vom Stinkemichel und seinen Freunden“ erschienen. Welche Themen werden in diesem Buch behandelt?
Christa Schyboll: Es geht um die typischen Probleme des Alltags in Familie, Schule und Freizeit. Dazu gehören zum Beispiel die Faulheit, Mobbing, Stehlen, Lügen, Tiere quälen, Angeberei, Feindschaft, Unzuverlässigkeit. Aber auch Fragen wie zum Benehmen, Gründe für Ängstlichkeit, die Gier, Schlamperei oder der pure Egoismus. Auch die Ungeduld der Kinder oder ihr Streiten und Schlagen sind Themen in den 26 Geschichten. Demgegenüber stehen dann natürlich die Werte von Mut, Mitgefühl, Kameradschaft, Fleiß, Hilfe und Freundschaft, um nur einige zu nennen.
2. LB: Wer ist denn dieser Stinkemichel und was verkörpert er?
CS: Der Stinkemichel ist ein ganz normaler Junge, der gerne Freunde hätte. Aber ein körperliches Problem verhindert dies und er wird zum Mobbing-Opfer. Das macht ihn traurig und einsam. Doch dann bekommt er unerwartet eine Chance und nutzt sie. Mobbing ist ein hoher Leidfaktor für viele Kinder, der ihre Persönlichkeitsentwicklung viel tiefer prägt, als viele Eltern das auch nur ahnen. Der „Stinkemichel“ gibt der Serie den Namen.
3. LB: Wie definierst du einen Helden?
CS: In meinen aphoristischen Werken habe ich einmal geschrieben: „Helden werden nicht geboren, sie werden auch nicht geschubst - sie schmeißen sich selbst ins Wasser!“
Helden sind Menschen, die das Herz am rechten Fleck haben und dazu den Mut des schnellen Handelns ohne den problematischen Umweg übers Gehirn.
Kinder verhalten sich oftmals heldenhaft, was auch mit ihrer kindlichen Unmittelbarkeit und Spontaneität zu tun hat.
4. LB: Was hat dich dazu bewegt, diese Bücherreihe ins Leben zu rufen?
CS: Die Bitte einer Heilpädagogin, für ihre tägliche Arbeit solche kleinen Moralgeschichten für Kinder zu schreiben. Sie sollten sowohl für Schulstunden, Gute-Nacht-Geschichten oder auch Therapiestunden geeignet sein. Da hatte ich Vorgaben zu beachten. Nicht wenige Kinder haben heute Probleme mit einer stabilen Werte-Orientierung. Sie wissen oft nicht, was gut oder schlecht, richtig oder falsch ist. Oft ist diese Sicherheit auch im Elternhaus nicht immer so fest in der Erziehung verankert, dass das Kind dazu schon früh eine innere Haltung entwickeln kann. Diese Geschichten verhelfen, gute Impulse durch Beispiele zu geben. Vor allem dann, wenn sie auch öfter gemeinsam gelesen werden und man über diese Inhalte mit den Kindern spricht, sofern die Kinder da Fragen haben. Letztlich sind alle Kinder, auch die Starken unter ihnen, mit diesen Fragen konfrontiert – ob als Täter oder als Opfer. Hierzu schreibt auch eine andere Heilpädagogin ein entsprechendes Vorwort im Buch.
5. LB: Hast du selber auch Kinder, denen ähnliches wiederfahren ist? ODER Hast du selbst ähnliche Erfahrungen in deiner Kindheit gemacht?
CS: Ja, auch ich war öfter einmal ein Mobbingopfer. Ich kann mich in diese Kinderseele mittels eigener Erfahrungen hineinversetzen und weiß, wie Kinder still und leise leiden können. Aber ich weiß auch, dass Kinder mutig sein können und stark sind, wenn man sie ermutigt und zu ihnen steht. Und meine eigenen Kinder habe ich früh mit guter Literatur in Verbindung gebracht und bin sicher, dass dies auch gute Wirkung entfaltet hat.
6. LB: Hast du deinen Kindern jeweils auch vorgelesen? Welche Erfahrungen hast du dabei gemacht?
CS: Ich habe meinen Kindern viel vorgelesen, aber auch immer schon Geschichten spontan erfunden und hab sie selbst dabei auch eine aktive Rolle einnehmen lassen. Kinder, denen man früh vorliest und die Inhalte auch gemeinsam mitfühlt und durchlebt, bekommen in aller Regel später nicht nur einen sehr guten Zugang zu guten Büchern und guter Literatur, sondern sie erfahren das Lesen als etwas Wertvolles und Bereicherndes, also eine echte Lebensqualität, die auch wiederholbar ist. Das wiederum prägt nicht nur das Sprachgefühl, sondern auch die Ausrichtung zum Leben. Allein nur CDs den Kindern anzubieten, ersetzt niemals diesen persönlichen Kontakt des gemeinsamen Erlebens und des Begleitens der kindlichen Emotion. Nähe, kuscheln können oder sich gemeinsam freuen ist etwas wichtiges für die Kinderseele. Übrigens lieben viele Kinder spannende Geschichten, die ihnen durchaus auch etwas Angst machen können, wenn sie am Ende nur gut ausgehen. So lernen sie, sich schon früh und doch im begleiteten und behüteten Raum mit den unvermeidlichen Ängsten des Lebens auseinanderzusetzen. Das ist bei CDs oder Fernsehen etwas völlig anderes. Wenn sie größer sind, mag auch das eine gute weitere Alternative sein, aber möglichst erst nach Eintritt ins Grundschulalter.
7. LB: Wie erreicht man in der heutigen Zeit eine stabile Persönlichkeitsentwicklung seines eigenen Kindes?
CS: Vor allem durch gelebtes Vorbild. Wenn man als Eltern oder als Bezugsperson selbst stark und sicher ist, greift in der Regel der Nachahmungsfaktor. Eltern sollten glaubwürdig sein, in dem was sie fühlen und tun. Kinder spüren durchaus, ob sie geliebt werden, ihnen Zeit geschenkt wird oder ob man sie vielmehr nur lästig abschüttelt (und nur vor den Fernseher setzt, um den eigenen Dingen die Priorität einzuräumen). Kinder, die Zeit, Liebe, Zuwendung erfahren, haben beste Chancen zu gesunden starken Persönlichkeiten heranzureifen.
8. LB: Wie kann das Kind sich selbst stärken?
CS: Ich glaube, dass sich Kinder selbst diese Frage gar nicht stellen können, weil sie ja noch keinen Überblick haben über das, wie Persönlichkeitsreifung funktioniert und wozu sie wichtig ist. Ich denke, dass es da einen natürlichen Automatismus gibt, der Kinder nach dem streben lässt, was sie als stark und überlebensfähig empfinden. Kinder denken das alles ja nicht, sondern empfinden und durchleben es. Wo Eltern gutes Vorbild im Tun sind, braucht es auch kaum Worte in der Erziehung. Dort, wo zu viel vor allem mit kleinen Kindern geredet und erklärt wird, entsteht Verwirrung und Überforderung. Das wissen junge Eltern oft nicht, die Erziehung mehr demokratisch angehen wollen. Was es dringend braucht sind selbstkritische Erwachsene, die nicht darin nachlassen, sich auch selbst weiterzuentwickeln. Das fühlen die Kinder und werden es nachahmen.
9. LB: Mit welchen Problemen haben die Kinder der heutigen Zeit in unserer westlichen Welt zu kämpfen?
CS: Problematisch sehe ich vor allem die Tendenz zur Verfrühung in fast allem. Vor allem im Bereich der Technik, der bestimmte Hirnfunktionen im Kind anspricht und infolge entscheidend andere Faktoren dann vernachlässigt werden müssen. Ich denke da konkret an die Vorhaben, auch Kindergärten schon zu digitalisieren und Kinder so vom unverzichtbaren Spiel während dieser Zeit fernzuhalten, zugunsten einer frühen PC-Bedienfertigkeit, die nicht altersgemäß und gesund ist. Eine verfrühte Intellektualisierung der kleinen Kinder geht auf Kosten anderer notwendiger Entwicklungen, was sich meist aber erst später zeigt. Kinder brauchen die Sinneserfahrung in vielfältiger Art.
Problematisch kann zudem auch ein falsches Konsumverhalten sein, das in Abhängigkeiten führen kann, wenn Eltern jederzeit und immer alle Wünsche erfüllen, nur weil das Geld da ist. Auch hier gäbe es aber noch viele Aspekte zu bedenken, für die nicht mehr der Platz ausreicht.
10. LB: Viele Kinder werden heutzutage bereits während der Primarschule therapiert, sei das mit Nachhilfeunterricht, Logopädie, Ergotherapie oder auch Psychotherapie. Was läuft da falsch?
CS: Es gibt keine allgemeine Antwort darauf, weil es ja individuell verschieden ist, weshalb Kinder Therapien brauchen. Aber es sollte uns allen zu denken geben, in welchem gigantischen Ausmaß diese Therapien mittlerweile benötigt werden. Insofern ist es trotz der individuellen Probleme dennoch auch ein Gesellschaftsproblem, das schon zum Phänomen ausartet. Kinder, die gesund groß werden, die ausreichend viel spielen dürfen, gute Erziehung und viel Zuwendung haben und auf keinen Fall schon zur Un-Zeit mit den falschen Dingen in ständiger Berührung kommen (etwa auf dem Schoß der Eltern häufig PC spielen etc.) werden in den Therapien garantiert seltener anzutreffen sein. Aber wie gesagt: Der Einzelfall kann auch ganz andere Gründe haben.
11. LB: Welche Werte sind dir persönlich wichtig und weshalb?
CS: Wichtig sind mir vor allem die Voraussetzungen, die zu einer individuellen Werte-Relevanz erst führen. Dazu gehören die Freude an der Selbstentwicklung, was bedeutet: Man braucht eine selbstkritische Haltung, einen gesunden Blick fürs Leben, bemüht sich um die Klarheit in seinen Gefühlen und Gedanken und vor allem: man handelt dann nach dieser Klarheit. Wenn man so lebt, ergeben sich die Werte für eine Menschen- und Weltzuwendung, die man auch als allgemeine Menschenliebe, möglichst in Freiheit, benennen kann.
12. LB: Was hat sich diesbezüglich in unserer Gesellschaft verändert?
CS: Für mich sind alle Gesellschaften zu allen Zeiten eine fließende Bewegung eingebettet, deren Verlauf sich aber häufig ändert. Zeitmoden gibt es auch im Denken, Fühlen und Handeln. Unsere westliche Gesellschaft befindet sich für mich noch stark in egomanischen Zügen verstrickt, die mit dem Übergewicht auf Konsum und oft egoistischer Selbstentfaltung zu tun haben. Eine Ellbogengesellschaft, trotz ständiger Mahnungen. Egoismus verhindert eine Wir-Fähigkeit und muss nach und nach überwunden werden. Durch Globalisierung und Migration und durch die technischen Veränderungen gerät unsere westliche Gesellschaft immer mehr ins Strudeln und wird sich sehr gut überlegen müssen, wohin sie steuert. Ob ein Umsteuern aber überhaupt möglich ist, bezweifle ich. Aber die Chance, dass wir durch die großen Probleme, die wir geschaffen haben, eine neue Drehrichtung bekommen, sehe ich ebenfalls. Allerdings nicht binnen weniger Jahre.
13. LB: Wenn du etwas an der heutigen Gesellschaft ändern könntest, was wäre es und weshalb?
CS: Den Virus der Dummheit zu besiegen, das wäre mein oberstes Ziel. Aber gegen den gibt es kein Serum. Das muss jeder in sich selbst herstellen. Entweder man schafft das als Individuum und dann trägt man zum Frieden und Prosperieren der Welt bei – oder man schafft es eben nicht und die Welt versinkt weiter in Hunger, Krieg und Verelendung, obschon eine Alternative ja da ist.
Wenigstens die Menschen in führender politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Leitungsfunktion müssten auf einem Wissens- und Weisheitsstand sein, der erkennt, dass die gesamte Menschheit am seidenen Faden hängt mit dem, was wir uns seit Jahrhunderten antun. Aber das funktioniert ja nicht einmal in Demokratien.
14. LB: Wo können Interessierte deine Bücher beziehen?
CS: Das Taschenbuch und die einzelnen Ebooks sind über Amazon erhältlich: https://www.amazon.de/Vom-Stinkemichel-seinen-Freunden-Teil/dp/3961181365/ref=sr_1_10?ie=UTF8&qid=1491039693&sr=8-10&keywords=christa+schyboll
Das erste Printbuch mit 13 Geschichten wird in den nächsten Wochen herauskommen. Das 2. Buch im Frühjahr 2018. Für kleine Kinder ist das Printbuch aber aus den genannten Gründen zunächst vorzuziehen. Nach dem Kennenlernen der Geschichten steht dann auch den CDs als Alternative natürlich nichts im Wege.
Wer gerne ein signiertes Exemplar von mir möchte, kann sich über meine Homepage direkt an mich wenden: www.christa-schyboll.de (Buchpreis plus normales Buchporto)
Liebe Christa, ich danke dir für dieses informative und äusserst interessante Interview und finde es echt toll, dass eine Schriftstellerin die Herausforderungen des Kind- und Schulalltags auf den Punkt bringt. Ich glaube, dass viele Eltern sich da Unterstützung wünschen. Da eignet sich deine Bücherreihe eigentlich perfekt! Danke.
Dankeschön für das Interview und die engagierte Fragestellerin Laura Bünd!
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